Totholzräumungen im Harz
Einigung zwischen NABU und Nationalparkverwaltung
Rechtlicher und naturschutzfachlicher Hintergrund.
Gibt es eine erhöhte Waldbrandgefahr durch Totholz?
Zunächst ist davon auszugehen, dass die Waldbrandgefahr aufgrund des Klimawandels und der damit einhergehenden Trockenheit zunehmen wird.
Entgegen der öffentlichen Meinung gibt es im Hinblick auf die Waldbrandgefahr allerdings keinen Unterschied zwischen Totholz und vitalem Wald. Im Gegenteil: Neuere Erkenntnisse zeigen, dass die Brandentstehungsgefahr in einem vitalen Wald größer ist als auf Totholzflächen. Auch die Gefahr der Ausbreitung eines Waldbrandes ist auf vitalen Flächen größer. Totholz hingegen wirkt sich bereits nach relativ kurzer Zeit von zwei bis drei Jahren durch Feuchtigkeitsaufnahme und Zersetzungsprozesse hemmend auf die Brandausbreitung aus. [1-2]
[1] Hararuk, O., Kurz, W. A. Didion, M.: Dynamics of dead wood decay in Swiss forests. For. Ecosyst. 7, 36 (2020).
[2] Schüler, G., Gellweiler, I. und S. Seeling (hrsg. 2007): Dezentraler Wasserrückhalt in der Landschaft durch vorbeugende Maßnahmen der Waldwirtschaft, der Landwirtschaft und im Siedlungswesen. Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft, Nr. 64/07
Was ist ein Sicherheitspuffer?
Zur Verminderung dieser Waldbrandgefahr im Hinblick auf Ortschaften gibt es mehrere Möglichkeiten.
Eine dieser Möglichkeiten wäre, um Ortschaften herum einen Sicherheitspuffer anzulegen, auf dem keine Waldbrände entstehen können. Dies würde jedoch bedeuten, dass um jede Ortschaft herum ein Pufferstreifen von 150 bis 300 m angelegt wird, in dem jedes Holz entfernt wird.
Für die Ortslage von Schierke ist ein solch flächendeckender Vorschlag bisher, soweit ersichtlich, noch nicht in die Debatte eingebracht worden.
Welche Alternativen zur Reduzierung der Brandgefahr gibt es?
Um zu verhindern, dass Waldbrände auf die Ortslage übergreifen, stehen andere, deutlich weniger eingreifende Methoden als Sicherheitspuffer zur Verfügung.
Grundsätzlich muss die Feuerwehr in die Lage versetzt werden, den Ortsrand zu befahren. An den Ortsrändern können stationäre oder mobile Löscheinrichtungen und die entsprechende Wasserversorgung installiert werden. Wird dies gemacht, kann die Feuerwehr ein direktes Übergreifen eines Waldbrands auf die Ortslage in aller Regel verhindern.
Sollten Brandschutzfachleute die fundierte Empfehlung aussprechen, dass auf Flächen am Ortsrand zur Reduzierung der Brandgefahr Totholz entfernt werden soll, muss geprüft werden, ob dafür die nördlich von Schierke praktizierte Kompletträumung erforderlich ist oder ob es nicht ausreicht, bestimmte Teilflächen zu räumen. Sogenannte Totholzinseln sind wertvolle Lebensräume für viele streng geschützte Tierarten. Vermutlich ließen sich dadurch die Belange des Brandschutzes und des Naturschutzes miteinander in Einklang bringen. Entsprechende Untersuchungen wurden nach Kenntnis des NABU bisher aber nicht durchgeführt.
Welche Waldbrandgefahr für Schierke gibt es?
Im konkreten Fall von Schierke besteht und bestand am Ortsrand keine erhöhte Waldbrandgefahr. Eine Karte mit den Brandereignissen, die von der Landtagsverwaltung vorgelegt wurde, zeigt die Verteilung von Bränden im Harz. Am Ortstrand von Schierke gab es nur ein dokumentierte Brandereignis, das offensichtlich zu keinem größeren Brand geführt hat. Dagegen sind entlang der Trasse der Schmalspurbahn mehrere Dutzend Brandereignisse dokumentiert.
Welche Gefahr besteht durch Funkenflug?
Als Grund für die Räumung der Flächen am Ortsrand von Schierke wurde angegeben, dass eine Übertragung des Brandes auf die Ortslage durch Funkenflug verhindert werden soll. Bei dem ersten Brand im Nationalpark habe sich nämlich gezeigt, dass tote Bäume in größerer Höhe zu brennen anfingen und dann von dort Funken über größere Entfernungen getragen werden könnten. Feuerwehrfachleute weisen jedoch darauf hin, dass bei jedem Brand eine Thermik entsteht, die sehr viel intensiver zum Funkenflug über größere Entfernungen beiträgt als ein Brandnest an einem stehenden Baum.
Damit es bei einem Waldbrand auf den Flächen nördlich von Schierke zu einem Funkenflug Richtung Ortschaft kommt, müsste außerdem Nordwind vorherrschen. Diese Windrichtung ist in Schierke extrem selten.
Kann eine Änderung des Nationalparkgesetzes Totholzräumungen ermöglichen?
In der politischen Debatte wurde die Forderung laut, dass das Nationalparkgesetz geändert werden müsste, wenn sonst Totholzräumungen nicht möglich wären. Diese Auffassung ist rechtlich nicht korrekt. Das Verbot von Totholzräumungen ohne vorherige naturschutzfachliche Prüfung ergibt sich aus europäischem Naturschutzrecht.
Große Flächen des Nationalparks sind ein sogenanntes Natura-2000-Gebiet, und zwar sowohl als Flora-Fauna-Habitat (FFH-Gebiet) als auch als Vogelschutzgebiet. Diese Gebiete beruhen auf europäischem Naturschutzrecht. In derartigen Gebieten sind alle Maßnahmen verboten, die zu Beeinträchtigungen der sogenannten Erhaltungsziele führen können. Nur nach sehr intensiver Prüfung und vorheriger Beteiligung der Naturschutzvereinigungen können streng begrenzte Ausnahmen erteilt werden. Das Verbot der Totholzentfernungen hat also nichts mit dem Nationalparkgesetz zu tun, sondern mit den europarechtlichen Vorgaben.
Europäisches Naturschutzrecht geht dem nationalen Naturschutzrecht vor und setzt sich auch gegen die meisten anderen Belange durch.
Natura-2000-Gebiete können auch nicht von nationalen Behörden oder dem nationalen Gesetzgeber geändert werden. Bei der Ausweisung von Natura-2000-Gebieten handelt es sich nicht um eine politische oder behördliche Entscheidung. Natura-2000-Gebiete existieren deshalb, weil sie bestimmte naturschutzfachliche Voraussetzungen erfüllen. Weder der Landtag von Sachsen-Anhalt noch die Bundesregierung, noch die Naturschutzbehörden der Landkreise könnten entscheiden, dass die Grenzen der Natura-2000-Gebiete anders gezogen werden sollten.
1. Dezember 2022 - Die Auseinandersetzung über die Totholzräumungen im Nationalpark Harz zwischen dem NABU Sachsen-Anhalt und der Nationalparkverwaltung ist vorläufig beendet. NABU und Nationalparkverwaltung haben einen Vergleich geschlossen, der verschiedene Maßnahmen und künftige Abstimmungen vorsieht.
22. November 2022 - Der NABU hatte sich zunächst nicht gegen die Räumung von Flächen am Ortsrand von Schierke gewendet und diese auch aus dem Eilantrag herausgenommen. Es zeigte sich dann jedoch, dass die Räumung der Flächen nördlich von Schierke weit über das hinaus geht, was nach fachlich geprüfter Auffassung des NABU für die Verhinderung einer Brandgefahr für die Ortslage von Schierke erforderlich ist. Die Nationalparkverwaltung wollte die Räumungsarbeiten dort aber nicht unterbrechen. Der NABU hat daraufhin diese Flächen in den Eilantrag einbezogen, und das Verwaltungsgericht hat dann für diese Flächen einen Räumungsstopp angeordnet.
Nach Einschätzung des NABU kann es auch für diese Flächen zu einer vernünftigen Lösung kommen. Der NABU steht diesbezüglich im Kontakt mit der Nationalparkverwaltung. Auch das Verwaltungsgericht hatte angeregt, eine Lösung im Rahmen einer sogenannten gerichtlichen Mediation zu finden. Dazu hat sich der NABU auch bereit erklärt.
Der NABU sieht gute Ansatzpunkte dafür, mit der Nationalparkverwaltung zu einem Ergebnis zu kommen, das Naturschutz und Brandschutz unter einen Hut bringt. Mit einer fundierten Vereinbarung lässt sich dann auch eine Wiederholung des derzeit schwelenden Konflikts vermeiden.
2. November 2022 - Der NABU Sachsen-Anhalt geht gerichtlich gegen die derzeit stattfindenden Totholzentnahmen und Baumfällungen im Nationalpark Harz vor. Der Umweltverband hat am 1. November 2022 einen entsprechenden Eilantrag beim Verwaltungsgericht Magdeburg eingereicht. Die Nationalparkverwaltung hatte auf eine vorherige Aufforderung des NABU nicht reagiert.
Dr. Anne Arnold, Landesgeschäftsführerin des NABU und Forstwissenschaftlerin: „Wenn Bäume gefällt und Totholz beräumt wird, dann werden Biotope und Arthabitate erheblich verändert. Diese lassen sich dann auch nicht wieder oder nur in sehr langen Zeiträumen wiederherstellen. Europäische Lebensraumtypen sind zudem grundsätzlich streng geschützt, die Maßnahmen sind mit den europäischen Vorgaben nicht vereinbar und führen zu einem herben Verlust an Biodiversität. Vor dem Hintergrund der Klima- sowie Biodiversitätskrise müssen gerade auch Schutzgebiete vor solchen Maßnahmen bewahrt werden.“
Weiter meint sie „Ganz unabhängig davon ist Totholz ein essenzieller Lebensraumbestandteil und erfüllt wichtige Funktionen. Viele Fledermäuse, Vögel, Käfer profitieren vom hohen Anteil stehenden und liegenden Totholzes. Wird es beseitigt, geht ein wichtiger Lebensraum verloren. Darüber hinaus spielt die Verrottung von Holz auf der Fläche für den Kohlenstoffhaushalt eine große Rolle. Im Gegensatz zur Nutzung des Totholzes als Brennholz führt die länger anhaltende Zersetzungsdauer von Totholz im Bestand zu einem nicht unbeachtlichen Anteil an Kohlenstoffspeicherung im Mineralboden und steht einer Rückführung in die Atmosphäre weniger zur Verfügung, was der Klimakrise entgegenwirkt“.
Zu den Ursachen der Brände
Es ist unter Fachleuten hoch umstritten, ob die Anlegung von Brandschneisen oder verbreiterten Wegen zu einer besseren Brandbekämpfung beitragen würde. Wollte man so viele Zuwegungen für die Feuerwehr anlegen, dass jede Fläche erreicht werden kann, müsste der Nationalpark Harz von einem engmaschigen Feld von breiten Wegen durchzogen werden. In einem großen und naturnahen Waldgebiet muss die Brandbekämpfung daher primär aus der Luft erfolgen.
Die Politik hatte zwischenzeitlich erkannt, dass die meisten Brände vom Betrieb der Harzer Schmalspurbahn ausgehen. Dies hat die Landesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen im Landtag mit einer eindrucksvollen Karte auch entsprechend bestätigt.
Dazu Martin Schulze, erster stellvertretender Vorsitzender des NABU Sachsen-Anhalt: „Wenn es für die ganz überwiegende Mehrzahl der Brände im Nationalpark einen einzigen, dingfest gemachten Verursacher gibt, dann muss diese Brandursache primär abgestellt werden. Dafür gibt es mittlerweile Vorschläge, das lässt sich wohl technisch ganz gut machen. Dann ist es aber sinnlos, gleichzeitig breite Schneisen in den geschützten Naturwald zu schlagen. Die Politik hat offensichtlich die Bedeutung des Nationalparks bisher nicht richtig verstanden und setzt jetzt die Nationalparkverwaltung unter Druck, entsprechenden Maßnahmen zuzustimmen.“
Zum Hintergrund
Bekanntlich war es im August zu einem Brand auf dem Brocken gekommen. Nachdem zunächst von einer Brandfläche von 160 ha die Rede war, wurde dies mittlerweile auf 12 bis 16 ha herunterkorrigiert. Nach dem Brand waren teils hektische Aktionen insbesondere der Politik zu beobachten, um solche Brände künftig auszuschließen und unwahrscheinlicher zu machen. Das Forstministerium hatte auf den Abschluss der sogenannten Wernigeröder Erklärung gedrängt, in der unter anderem vereinbart wurde, Waldbrandschneisen anzulegen.
Der Nationalpark Harz ist zum großen Teil europäisches Naturschutzgebiet, in dem besonders strenge Vorgaben sowohl für Lebensräume als auch für geschützte Tierarten gelten. Beeinträchtigungen sind grundsätzlich verboten, können aber ausnahmsweise zugelassen werden. Voraussetzung ist jedoch immer, dass es eine belastbare Planung gibt, aus der hervorgeht, was gemacht werden soll, sowie ein Ausgleich für mögliche Beeinträchtigungen.
Der NABU hatte bei der Nationalparkverwaltung nachgefragt, ob es eine solche Planung gibt, darauf aber keine nachvollziehbare Antwort erhalten. Am Wochenende hatten sich Vertreter*innen des NABU ein Bild von der Situation vor Ort gemacht. Allein auf einem Weg wurden liegendes und aufstehendes Totholz sowie lebende Bäume auf einer Breite bis 50 m entfernt, das Holz wurde geschreddert und offensichtlich mit großen Maschinen abtransportiert.
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