Koalitionsvertrag für Sachsen-Anhalt
Für Themen des Klima- und Naturschutzes sieht der NABU einen deutlichen Nachbesserungsbedarf
02. September 2021 – Der Entwurf für den Koalitionsvertrag zwischen CDU, FDP und SPD liegt zur Abstimmung bei den Parteien – um eine Zustimmung wird vielseitig geworben. Der NABU Sachsen-Anhalt hat den Entwurf analysiert und sieht vor allem beim Klima- und Naturschutz Nachbesserungsbedarf. Das Ziel sollte ein zukunftsfähiges, nachhaltiges Sachsen-Anhalt sein, in dem Ökonomie und Ökologie Hand in Hand gehen.
„Im vorliegenden Koalitionsvertrag sind die Ziele zum Klima- und Naturschutz zu allgemein formuliert, Maßnahmen beschränken sich auf ein Minimum und es werden kaum Schwerpunkte gesetzt“, erklärt Jonas Wolf, Naturschutzreferent beim NABU Sachsen-Anhalt, der den vorläufigen Vertrag analysiert hat. „Unter dem Strich sind die Planungen zum Umweltschutz nur wenig ambitioniert, auf diese Weise können die zentralen Herausforderungen unserer Zeit, allen voran der Klimawandel und das Artensterben, nicht gelöst werden.“ Dabei gibt es viel Potential, mit zukunftsweisenden und mutigen Maßnahmen, zum Beispiel in den Bereichen Wasserschutz und management, Ökosystem Wald, Flächenversiegelung oder Energie voranzugehen.
Die künftigen Herausforderungen des Klima- und Artenschutzes müssen endlich ernst genommen werden. Sie lassen sich nur durch schnelles, effektives und zielgerichtetes Handeln lösen. Der NABU fordert daher in zentralen Punkten eine Nachbesserung im Koalitionsvertrag.
An diesen Stellen muss nachgebessert werden:
Wasserschutz- und management
Weniger als 5 % der Oberflächengewässer in Sachsen-Anhalt befinden sich in einem guten ökologischen Zustand (laut Zustandsbestimmung 2015 der Oberflächenwasserkörper in Sachsen-Anhalt). Die Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie sollte oberstes Ziel sein, um die natürlichen Gewässerstrukturen nachhaltig zu fördern und die wassernahen Biotope zu erhalten. Intakte Ökosysteme bieten nämlich nicht nur wertvolle Lebensräume für seltene und stark gefährdete Tier- und Pflanzenarten, sondern fungieren auch als effektive Wasserspeicher und Kohlenstoffsenken. Sie sollten im Rahmen der Wasserpolitik daher stärkere Beachtung finden.
Die Forderung nach Wasserrückhalt in der Fläche wird begrüßt. Angedachte Förderprogramme gegen die Vernässung sind jedoch nicht mehr zeitgemäß und stehen nationalen Strategien zur Biodiversität entgegen. Feuchtflächen oder Senken auf Ackerland sollten vielmehr von der Bewirtschaftung ausgenommen werden, um auf diese Weise gefährdeten Arten wie Bekassine, Braunkehlchen, Brachvogel, Uferschnepfe oder Wachtelkönig einen Lebensraum zu bieten. Ein Umlenken von Fördermitteln zur Wiedervernässung ist in diesem Kontext zwingend erforderlich.
Fließgewässern sollte mehr Raum gegeben werden. Es braucht eine Abkehr von begradigten und befestigten „Entwässerungskanälen“ hin zu hochdynamischen Lebensräumen. Naturnahe Fließgewässer und die mit ihnen einhergehenden Auenwälder, Feucht- und Nasswiesen können Wasser langfristig speichern und in Trockenperioden schrittweise an die Umgebung abgeben. So werden Hochwasserspitzen abgepuffert und der Wassermangel in Dürreperioden effizienter ausgeglichen. Wir fordern eine Renaturierung von Fließgewässern in fachlicher Abstimmung mit den zuständigen Behörden. Hochwasser- und Naturschutz sollten stärker zusammenarbeiten und die Anlage natürlicher Retentionsflächen sollte ein wichtiger Teil des Risikomanagements werden.
Moore, Waldgebiete und Nasswiesen müssen wieder vernässt werden, um den Landschaftswasserhaushalt langfristig zu stabilisieren.
Ökosystem Wald
Das Ökosystem Wald muss stärker in den Fokus gerückt werden. Die Waldschutzkonzepte sind zu überarbeiten und an die Herausforderungen des Klima- und Artenschutzes anzupassen. Gesunde Wälder erfüllen eine wichtige Funktion als Kohlenstoffsenken, haben eine abkühlende Wirkung und stellen wichtige und einzigartige Lebensräume für viele Tier- und Pflanzenarten dar.
Häufige Trockenheit, Monokulturen bestimmter Baumarten wie Fichte oder Kiefer und längere Vegetationsperioden – bedingt durch die globale Erwärmung – haben den Erhaltungszustand unserer Wälder in den letzten Jahren stark beeinträchtigt. Die künftige Koalition muss einen politischen Rahmen schaffen, um dieser Entwicklung mit ausgewogenen Konzepten und Maßnahmen entgegenzuwirken. Flächeneigentümer, Fachbehörden und Naturschutzorganisationen müssen dafür wesentlich enger zusammenarbeiten, um im gegenseitigen Einvernehmen und auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse zukunftsfähige Lösungen für naturnahe und gesunde Wälder zu entwickeln.
Wald- und Wiesenflächen zu entwässern, um sie urbar zu machen, ist schon lange nicht mehr zeitgemäß. Wasser sollte großflächig im Wald gehalten werden, dazu müssen Entwässerungsgräben aufgeweitet, aufgestaut oder zurückgebaut werden. Einzelne Drainagen sollten verschlossen werden. Das Schicksal der Wälder und des Wasserhaushaltes in Sachsen-Anhalt hängen eng miteinander zusammen. Wasserschutzgebiete liegen auf ca. einem Drittel aller bewaldeten Flächen, mehr als die Hälfte der Wälder beherbergt wichtige Trinkwasservorräte.
Der Wald und das umliegende Offenland stehen in enger Wechselwirkung. So hat z. B. die intensive Landwirtschaft durch Grundwasserentnahmen und die Anlage/den Ausbau von Entwässerungsgräben weitreichende Auswirkungen auf den Wasserhaushalt in umliegenden Naturräumen. Diese großräumigen Zusammenhänge müssen stärker Beachtung finden.
Sachsen-Anhalts Wälder müssen in naturnahe, gesunde Mischbestände umgebaut werden. Einheimische, standortgerechte Arten und der Vorrang der Naturverjüngung sollten dabei das Ziel sein. Die Beräumung von Totholz als wichtige Maßnahme für die Waldbrandprävention sollte aus dem Koalitionsvertrag gestrichen werden. Totholz erfüllt bedeutsame ökologische Funktionen und ist ein wichtiger Teil der naturnahen Verjüngung. Brandschutzkonzepte sollten vielmehr den Zusammenhang von Trockenstress und Wasserhaushalt in den Wäldern in den Fokus rücken (siehe oben).
Landwirtschaft
Auch nach der Trennung der Ministerien für Landwirtschaft und Umwelt müssen der Dialog und die Zusammenarbeit dieser beiden Felder vorangebracht und verstetigt werden. Für eine nachhaltige und zukunftsfähige Bewirtschaftung braucht es einen Zusammenschluss von Landwirtschaft und Naturschutz, dieser darf nicht unter administrativen und strukturellen Umwälzungen leiden. Die Empfehlungen der Zukunftskommission Landwirtschaft sollten als Leitfaden für den nachhaltigen Umbau der Landwirtschaft dienen.
Die Leistungsfähigkeit des Agrar- und Ernährungssektors weiter auszubauen sowie die flächendeckende Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Nutzflächen anzustreben, halten wir für eine falsche, einseitige Ausrichtung auf wirtschaftliche Interessen. Im Sinne einer nachhaltigen und naturverträglichen Landwirtschaft sollte mehr Raum für Arten- und Naturschutzprogramme geschaffen werden.
Die Diskussion über ein Agrarstrukturgesetz sollte nicht nur erneut aufgenommen, sondern auch zu Ende geführt werden. Ein entsprechendes Gesetz ist aus Sicht des NABU zwingend notwendig und sollte unbedingt verabschiedet werden. Das Höfesterben muss aufgehalten und diverse, kleinstrukturelle Produktionsweisen sollten gefördert werden. Gerade diese Diversität ermöglicht die vielfältige und strukturreiche Gestaltung landwirtschaftlicher Flächen.
Durch seine Wirtschaftsweise und strengen Regeln liefert der ökologische Landbau automatisch einen essenziellen Beitrag zum Erhalt der Biodiversität und artgerechten Tierhaltung. Diese Ziele werden durch die Umschichtung von Mitteln der gemeinsamen Agrarpolitik seitens der EU ebenfalls angestrebt. Der ökologische Landbau sollte auch in Sachsen-Anhalt weiterhin mit hoher Priorität gefördert werden.
Verkehr
Im Bereich Verkehr setzt sich der NABU konsequent für den Wandel zu einer nachhaltigen Mobilität ein. Laut Koalitionsvertrag sollen in Sachsen-Anhalt die Potenziale aller Verkehrsträger entwickelt werden, der Fokus sollte jedoch auf dem Ausbau der Schiene, des ÖPNV und der Radinfrastruktur liegen. Auf die Realisierung unnötiger und nicht mehr zeitgemäßer Autobahnen und Bundesstraßen sollte verzichtet werden.
Der Schwerpunkt neuer Antriebstechniken sollte auf der E-Mobilität liegen. Gerade im Personenverkehr ist Wasserstoff keine gute Alternative, da bei der Wasserstoffherstellung große Mengen Energie als Umwandlungsverluste verloren gehen. Diese sollten eher direkt in Form von erneuerbarem Strom als Antriebsmittel genutzt werden.
Der NABU fordert die Einführung eines generellen Tempolimits (120 km/h auf Autobahnen, 80 km/h auf Landstraßen und 30 km/h Innerorts). Sachsen-Anhalt könnte hier Vorreiter sein und mit einer einfachen Maßnahme zum Klimaschutz, der Minimierung schwerer Verkehrsunfälle und der Entschleunigung des Verkehrs in Innenstädten beitragen.
Für den Gütertransport sollte ebenfalls die Schiene als das Mittel der Wahl gestärkt werden. Die Zunahme des Güterverkehrs auf Wasserstraßen sehen wir im Hinblick auf die Gewässerqualität kritisch (siehe Punkt Wasserschutz und -management).
Erste Ziele für nachhaltige Mobilität, den Ausbau von Rad und Schiene und die Erhöhung der Nutzungszahlen im ÖPNV sind im Koalitionsvertrag bereits formuliert. Konkrete Zielvorgaben und Zeithorizonte für die Realisierung dieser Projekte fehlen jedoch und sind zu ergänzen.
Flächenversiegelung
Sachsen-Anhalt plant die Flächenversiegelung an die Nachhaltigkeitsstrategie des Bundes anzulehnen, die bis 2030 die Versiegelung auf 30 Hektar pro Tag begrenzen soll. Der NABU verfolgt hingegen das „Netto-Null-Hektar“-Ziel.
Flächenversiegelung hat schädliche Folgen für die ökologische Funktion der Böden. Die Bodenstrukturvielfalt, Fruchtbarkeit, klimatische Ausgleichsfunktionen und der Wasserhaushalt werden beeinträchtigt. Lebensräume und Artengemeinschaften können gestört werden. Weitere Versiegelungen, vor allem auf verbliebenen Freiflächen im Inneren von Siedlungsgebieten, sollten verstärkt in Frage gestellt werden. Der Schutz unbeplanter Außenbereiche und umliegender Naturräume sollte höchste Priorität haben.
Statt an zunehmender Flächenversiegelung festzuhalten, sollte in Siedlungsgebieten verstärkt auf die Erhaltung von Freiflächen, Grünland und Parks sowie die Begrünung von Dächern und Fassaden zurückgegriffen werden. Pflanzen sorgen für eine effiziente Abkühlung, verbessern die Luftqualität und tragen damit zu einem angenehmen Stadtklima bei. Zudem bieten Grünflächen wertvolle Lebensräume für viele Tier- und Pflanzenarten in der sonst kargen Stadtwüste.
Energie
Im Bereich Energie sollten die Senkung des Energieverbrauchs und umfassende Anstrengungen zur Steigerung der Energieeffizienz in allen Sektoren oberstes Ziel sein.
Den raschen und umfassenden Ausbau der erneuerbaren Energien halten auch wir für notwendig, konkrete Zeitvorgaben sowie der Einklang mit Natur- und Artenschutz fehlen jedoch im Koalitionsvertrag.
Der Ausbau von Photovoltaik sollte bevorzugt auf bereits versiegelten Flächen und Dächern stattfinden. Gebäuden in öffentlicher Hand sollte dabei eine Vorbildfunktion zugutekommen. Der Ansatz, dass Freiflächen-Photovoltaikanlagen bei richtiger Planung und Pflege einen zusätzlichen Nutzen für die Biodiversität bedeuten, wird begrüßt. Dafür sollten konkrete Maßnahmen für die Strukturvielfalt, wie Hecken, Rohbodenstellen, Totholzhaufen oder heimische Ruderalvegetation, bereits in den Planungen verpflichtend festgeschrieben werden.
Beim Windenergieausbau sollte die Naturverträglichkeit als politisches und planerisches Leitbild verankert werden. Dabei muss das Instrument der Regionalplanung stärker genutzt werden, um eine verbindliche Ausweisung von Windeignungsgebieten mit Ausschlusswirkung (z. B. für Gebiete des Natura-2000-Netzwerkes) zu garantieren. Bisher werden nur die Belange der örtlichen Bevölkerung ausreichend berücksichtigt. Maßnahmen zum Natur- und Artenschutz sollten auch von Beginn an in die Planungen aufgenommen werden, um einen naturverträglichen Ausbau zu ermöglichen. Vollständige und qualitative artenschutzfachliche Datenerhebungen, die kumulative Effekte berücksichtigen, sollten für alle Vorhaben festgeschrieben werden. Verzögerungen aufgrund fehlender oder mangelhafter artenschutzrechtlicher Betrachtungen werden auf diese Weise vermieden.
Schutzgebiete
Konkrete Maßnahmen zum Erhalt und zur Wiederherstellung natürlicher Ökosysteme müssen in Sachsen-Anhalt stärker in den Fokus gerückt werden. Dem Natura-2000-Netzwerk kommt dabei eine besondere Bedeutung zu.
Die europäischen Richtlinien müssen auch hier konsequent umgesetzt werden, um EU-Strafzahlungen vorzubeugen. Dazu gehört es auch, der Forderung nach der Ausweisung neuer Schutzgebiete nachzukommen. Als besonders wertvoll sehen wir dabei die überregional bedeutsamen Schutzgebiete in der Bergbaufolgelandschaft an. Detaillierte Einzelverordnungen sind im Landesrecht zu verankern und die Umsetzung der Managementpläne und Monitoringprogramme durch die Behörden verbindlich festzuschreiben.
Zur Umsetzung von Arten- und Biotopschutz in der Fläche sollten die nötigen finanziellen und strukturellen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Wir sehen die (Wieder-)Einrichtung von Naturschutzstationen, die Förderung von Naturschutzorganisationen und Landschaftspflegeverbänden sowie Großschutzgebietsverwaltungen dabei als klare Zielvorgaben.
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