Zugvögel tanken Energie am "Wattenmeer des Binnenlands"
Der Helmestausee ist wichtiger Limikolenrastplatz



Der Alpenstrandläufer ist eine weit verbreitete Limikolen-Art - Foto: Martin Schulze
17. September 2020 - Wer dieser Tage am Helmestausee zwischen Berga, Kelbra und Auleben spazieren geht, wird Zeuge des eindrucksvollen Herbstzuges zahlreicher Vogelarten, die in den Flachwasserbereichen, an den Ufern und auf Schlammbänken nach Nahrung suchen. Neben den auffälligen Schwänen, Kormoranen, Gänsen und Enten tummeln sich zahlreiche kleinere Vögel in den ufernahen Bereichen der an der Grenze zwischen Thüringen und Sachsen-Anhalt gelegenen Talsperre. Oft genug sind die kleineren, oft unscheinbar braun gefärbten Vögel aus der Ferne nur als kleine Punkte zu sehen und lediglich mit einem Fernglas oder Fernrohr bestimmbar. Aber besonders beim Auffliegen können Besucher die oft melodischen Rufe der Limikolen vernehmen.
Limikolen - was ist denn das?
Zu den Limikolen, oder Watvögeln, wie sie auch genannt werden, zählen u. a. Arten aus den Familien der „Regenpfeifer“, zu denen bspw. der Kiebitz zählt, und der „Schnepfenvögel“, von denen ein bekannterer Vertreter die Bekassine ist. Vielfach suchen diese Sumpfvögel die Grenzbereiche zwischen Schlamm- und Wasserflächen auf, um mit ihren langen und kurzen, geraden oder gebogenen Schnäbeln Nahrung von der Wasseroberfläche, aus dem Flachwasser, von der Oberfläche der Schlammflächen oder aus dem Schlamm selbst aufzunehmen. Oft genug sind das Muscheln und Schnecken, Insekten und deren Larven, Ringelwürmer, kleine Fische und Krebstierchen, die je nach Vogelart besonders gern verspeist werden.
„Und Fressen ist wichtig“, erläutert Martin Schulze vom NABU Sachsen-Anhalt. „Viele der hier bei der letzten Wasservogelzählung von Nordhäuser und Hallenser Ornithologen gesichteten 21 Limikolenarten, darunter 130 Alpenstrandläufer, 40 Sandregenpfeifer, 42 Bekassinen, 45 Kampfläufer, 18 Grünschenkel oder auch 3 seltene Säbelschnäbler kommen aus baltischen, skandinavischen oder nordosteuropäischen Brutgebieten, die sich an Meeresküsten, in Gebirgsregionen oder den Tundren befinden. Wenn sie den Helmestausee erreicht haben, ist ihr Tank oft leer.“
Wie weit entfernt die Brutgebiete liegen, zeigt ein von Merseburger Vogelberingern vor vielen Jahren am Helmestausee gefangener Sandregenpfeifer, der erst nach vielen Jahren in Island beobachtet wurde. Ein angelegter Ring der Vogelwarte Hiddensee verriet hierbei seine Herkunft.
Stauregime beeinflusst Rastbedingungen
Vor dem Weiterzug in die mehrere tausend Kilometer entfernten Überwinterungsgebiete, von denen einige vor der westafrikanischen Küste liegen, benötigen die rastenden Vögel Energie, die sie sich in Form von Fett anfressen. Einige Tage bis Wochen verbringen die Limikolen dann am Helmestausee, dem „Wattenmeer des Binnenlands“, der aufgrund seiner Sonderstellung und hohen Bedeutung für den Vogelzug im ostdeutschen Binnenland bereits 1978 als Feuchtgebiet internationaler Bedeutung und später länderübergreifend als EU-Vogelschutzgebiet gesichert wurde.
„In den zurückliegenden 10 Jahren fanden die Limikolen zur Zugzeit zwischen Juli und September hier oft keine Nahrung. Der Stausee war randvoll mit Wasser und die zu dieser Zeit überfliegenden Limikolen rasteten gar nicht erst. Erst mit der Umstellung des Stauregimes, welches eine langsame Reduzierung der Wassermenge im Sommer und Spätsommer vorsieht, wurden die Verhältnisse deutlich besser“, erläutert Schulze. „In den Jahren 2018, 2019 und 2020 konnten die höchsten Zahlen rastender Limikolen seit langem registriert werden.“ Der NABU begrüßt daher die aktuelle Entwicklung am Stausee, die auch die Belange der Zugvögel wieder stärker berücksichtigt.
Andere Vogelarten am Helmestausee
Von dem langsamen Rückgang des Wasserspiegels profitieren auch viele andere Arten. Neben den vielen Limikolen nutzten am vergangenen Wochenende auch zahlreiche Gründelenten, darunter 1.850 Stock-, 145 Krick- und 85 Löffelenten die Flachwasserbereiche und Schlammflächen. Vom Silberreiher, der vorzugsweise im Flachwasser Fische jagt, konnten gar 220 Individuen gezählt werden.
Der Silberreiher belegt, dass die geschürte Angst vor einem fischfreien See sich als unbegründet erweist, denn trotz des Ablassens des Wassers im Februar befinden sich nach wie vor große Mengen Fisch im See. Auch die bis zu 1.100 Kormorane und 7 Fischadler zeigen an, dass hier viele Fischfresser satt werden.
Absoluter Star unter den Wasservögeln ist aktuell eine Marmelente, eine sehr seltene, an nur wenigen Orten in Südeuropa, Nordafrika und Asien brütende Entenart, die nur ausnahmsweise in Deutschland gesichtet wird. Zahlreiche Ornithologen aus dem gesamten Bundesgebiet, von Hamburg im Norden bis Baden-Württemberg im Süden, reisen dieser Tage extra wegen ihr zum Helmestausee. Und so profitiert die Region ganz nebenbei auch von den Vogeltouristen.
Ab Ende September nehmen dann auch die Beobachtungen des Kranichs zu, von dem aktuell erst wenige Dutzend Vögel am Stausee sind. Im Oktober nutzt dieser wieder zu Zehntausenden das Gebiet. Viele Limikolen werden dann schon weitergezogen sein. Nur der Große Brachvogel wird dann mit seinem melancholischen „kluuiit“ ebenso wie der Kiebitzregenpfeifer, dessen Rufe wie „plüii“ klingen, immer noch zu hören sein.