Die Feldlerche zählte früher zu den häufigen Vogelarten - Foto: Thomas Schwarzbach/www.naturgucker.de
Den Vögeln der Agrarlandschaft geht es schlecht
Neue Rote Liste der Brutvögel Sachsen-Anhalts veröffentlicht
22. Januar 2018 - Der NABU Sachsen-Anhalt und der Ornithologenverband Sachsen-Anhalt haben für die Rote Liste der Brutvögel gemeinsam mit der Staatlichen Vogelschutzwarte Steckby 202 Arten ausgewertet – mit alarmierendem Ergebnis: Nur die Hälfte der Arten gilt als ungefährdet. Vor allem die teils dramatischen Bestandsrückgänge ehemals sehr häufiger Arten führten in Sachsen-Anhalt in den 25 Jahren nach der politischen Wende zu einem Verlust von fast einer halben Million Vogelbrutpaaren.
Mit 74 Vogelarten wurde wiederum mehr als ein Drittel der regelmäßigen Brutvogelarten Sachsen-Anhalts in eine Kategorie der Roten Liste eingestuft. Darunter befinden sich 14 Arten, die mittlerweile in Sachsen-Anhalt ausgestorben sind. Zuletzt verschwand das Birkhuhn als Brutvogel aus unserem Bundesland. Weitere 15 Arten gelten als akut vom Aussterben bedroht. Während zum Beispiel für die Uferschnepfe aufgrund des bereits mehrjährigen Fehlens von Brutpaaren kaum noch Hoffnung besteht, ist es für den Großen Brachvogel, die Bekassine, den Brachpieper oder den Schreiadler noch nicht zu spät. Kurzfristig zu ergreifende Schutzmaßnahmen in Feuchtwiesengebieten, Heidelebensräumen und Bergbaufolgelandschaften könnten ihr Schicksal ändern.
Dass der spezielle Artenschutz hochgradig gefährdeter Vogelarten Wirkung zeigt, kann am Beispiel der Großtrappe belegt werden. Dank einer auf ihre Belange abgestimmten Landwirtschaft und Landschaftsgestaltung sowie einer intensiven Betreuung der Bruten und Auswilderung künstlich aufgezogener Küken ist die Art heute im Fiener Bruch, im Grenzbereich zu Brandenburg, wieder mit einem guten Bestand vertreten.
Extreme Bestandsverluste durch intensive Landwirtschaft
Die Notwendigkeit verstärkter Schutzbemühungen gilt auch für 14 als „stark gefährdet“ eingestufte Brutvögel, 18 „gefährdete“ Arten und 13 Arten, die aufgrund ihrer extremen Seltenheit und sehr lokalen Brutvorkommen in die Rote Liste aufgenommen wurden. Unter diesen befinden sich kaum in der Öffentlichkeit bekannte Vogelarten wie Ziegenmelker, Wachtelkönig, Baumfalke oder Schwarzhalstaucher, erstmals mit Feldlerche und Bluthänfling aber auch Arten, die früher allerorten zu den häufigsten Vogelarten zählten. Die Feldlerche musste in den vergangenen Jahren den größten Verlust hinnehmen. Geschuldet ist das unter anderem der intensiven Landwirtschaft, dem hohen Pestizideinsatz und dem Verlust von Brachen oder Gewässerrandstreifen. Doch verantwortlich für den Niedergang der Feldvögel, zu denen auch Rebhuhn und Kiebitz zählen, ist hierbei nicht der Landwirt allein. Vor allem tragen eine verfehlte und von Deutschland maßgeblich unterstützte EU-Agrarpolitik und die sowohl hinsichtlich Qualität und Quantität unzureichenden Agrar-Förderprogramme mit „grüner Ausrichtung“ zu der Misere bei.
Auch der Vogel des Jahres 2018 hat massive Einbußen in den Beständen hinnehmen müssen. Als stark rückläufige Art wurde der Star auf die Vorwarnliste aufgenommen. Gelingt es nicht, den Negativtrend zu stoppen, wird auch der Star bald zu den stärker gefährdeten Arten zählen.
Die insgesamt negative Entwicklung der Vogelwelt zeigt, dass der gesetzliche Schutz der Vogelarten und ihrer Neststandorte und Lebensräume nicht ausreicht, um eine Trendwende herbeizuführen. Während Waldvogelarten, wie zum Beispiel die Spechte, oder auch die Arten der Gewässerlebensräume mehrheitlich stabile Brutbestände aufweisen, zeigen die meisten Brutvögel der offenen und halboffenen Agrarlandschaft und auch der Siedlungen, wie Türkentaube, Mauersegler, Rauchschwalbe und Hausrotschwanz, rückläufige Bestände. Letzteren fehlen in den sanierten oder neu errichten Gebäuden und eintönigen Grünanlagen oftmals Nistplätze, Nistmaterial (feuchter Schlamm aus Pfützen) oder schlicht die Nahrung in Form von Insekten oder Sämereien.
Aus der Roten Liste entlassen
Doch es gibt auch positive Entwicklungen zu verzeichnen. So konnten vormals gefährdete Arten wie Fisch- und Seeadler, Weißstorch und Kranich aus der Roten Liste entlassen werden. Hier haben sich der spezielle Schutz der Brutplätze, die Ausweisung und Pflege von Schutzgebieten und das Verbot spezieller Insektenvernichtungsmittel positiv auf die Entwicklung der Bestände ausgewirkt. Auch beim Bienenfresser haben sich die Bestände dank umfassender Schutzbemühungen erholt – allein in Sachsen-Anhalt brüten mehr als 1000 Paare, was fast der Hälfte der des bundesweiten Brutbestandes entspricht.
Hintergrund:
Die Rote Liste gibt Auskunft über die aktuelle landesweite Gefährdung der Brutvogelarten, deren Häufigkeit, Bestandsentwicklungen und wirksame Gefährdungsfaktoren. Erarbeitet wurde die Rote Liste von Mark Schönbrodt und Martin Schulze als Vertretern der beiden anerkannten Naturschutzverbände. Sie ist das Ergebnis jahrzehntelanger Untersuchungen hunderter ehrenamtlicher Vogelkundler Sachsen-Anhalts, die im Zuge verschiedener Erfassungsprogramme und der Erarbeitung des gesamtdeutschen Brutvogelatlas aktuelle Bestandszahlen für alle Brutvogelarten des Landes ermittelten und somit die Datengrundlage für die Gefährdungseinstufung der Brutvögel Sachsen-Anhalts schufen. Die Ermittlung des Gefährdungsgrades der Einzelarten erfolgte anhand bundesweit gültiger Kriterien, wie bspw. lang- und kurzfristige Bestandstrends unter Berücksichtigung von Gefährdungsfaktoren.
Mit den früher häufig anzutreffenden Brutvögeln der Agrarlandschaft geht es seit Jahren bergab. Kiebitz und Rebhuhn stehen exemplarisch für den dramatischen Rückgang der Feldvögel insgesamt. Sie sind nur zwei der Vogelarten, die in den letzten 35 Jahren kontinuierlich aus unseren Kulturlandschaften verschwanden. Mehr →
In der Roten Liste der Brutvögel Deutschlands gelten drei Viertel der Offenlandarten als gefährdet, einschließlich Vorwarnliste sind es sogar 87 Prozent. Während sich im Vergleich zu letzten Ausgabe Auf und Ab insgesamt fast die Waage halten, geht es bei den Offenlandarten vor allem abwärts. Mehr →